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Verrufsbuch

Ein SC-Verrufsbuch aus Gießen (1882-1934)

Die ältere archivische Überlieferung des Gießener SC wurde vermutlich im Zweiten Weltkrieg vernichtet. Erhalten haben sich jedenfalls (im Archiv der Teutonia) lediglich das letzte, bis 1935 in Gebrauch befindliche SC-Protokollbuch und eine in Buchform gebundene handschriftliche „Liste der im SC-Verruf sich befindenden Personen“.

Der Verruf war die schwerste durch den SC zu verhängende Sanktion. Der Begriff ersetzte ab etwa 1820 den älteren, im studentischen Kontext seit 1515 nachweisbaren Ausdruck „Verschiss“. Beide waren gleichbedeutend mit einer vorübergehenden oder perpetuellen Ächtung des Betroffenen, einem Ausschluss aus der (studentischen) Gemeinschaft...

Ein SC-Verrufsbuch aus Gießen (1882-1934)

Die ältere archivische Überlieferung des Gießener SC wurde vermutlich im Zweiten Weltkrieg vernichtet. Erhalten haben sich jedenfalls (im Archiv der Teutonia) lediglich das letzte, bis 1935 in Gebrauch befindliche SC-Protokollbuch und eine in Buchform gebundene handschriftliche „Liste der im SC-Verruf sich befindenden Personen“.

Der Verruf war die schwerste durch den SC zu verhängende Sanktion. Der Begriff ersetzte ab etwa 1820 den älteren, im studentischen Kontext seit 1515 nachweisbaren Ausdruck „Verschiss“. Beide waren gleichbedeutend mit einer vorübergehenden oder perpetuellen Ächtung des Betroffenen, einem Ausschluss aus der (studentischen) Gemeinschaft.

Wenngleich er dazu durch die Studentenschaft nicht legitimiert war, nahm der SC das Recht der Jurisdiktion nicht nur über die eigenen Mitglieder in Anspruch, sondern über alle Studierenden der Hochschule; ebenso auch über die ortansässigen Philister, insbesondere Gastwirte und Gewerbetreibende, mit denen die Corps geschäftliche Beziehungen pflegten. § 36 des Gießener SC-Comments bestimmte ausdrücklich: „Der SC, welchem die Befolgung und Aufrechterhaltung des Komments als Hauptzweck anvertraut ist, hat die aufsehende Gewalt in allen Studentenangelegenheiten und deshalb die Befugnis und die Pflicht, überall einzuschreiten, wo der Komment durch ihm zuwiderlaufende Handlungen gefährdet, die akademische Freiheit bedroht oder den Studenten von Nicht-Studenten die gebührende Achtung verweigert wird.“

Unterschieden wurde in Gießen zwischen dem temporären Verruf zwischen 8 Tagen und 9 Monaten als Strafe für Vergehen nicht ehrloser Natur und dem perpetuellen Verruf, der mit dem Verlust sämtlicher studentischer Vorrechte verknüpft war. Studenten, die sich im temporären Verruf befanden, durften keine Corpsfarben tragen, keine Corpskneipe besuchen und nur auf spezielle Erlaubnis des SC Fechten. Zwangsläufig waren diese Bestimmungen nur für die Angehörigen der SC-Corps oder auswärtige Corpsstudenten, die sich in Gießen aufhielten, von Belang. Angehörige sonstiger Verbindungen oder Freistudenten kümmerten sich um die Jurisdiktion des SC vermutlich nicht all zu sehr, obgleich insbesondere der perpetuelle Verruf auch hier mit spürbaren Folgen für den gesellschaftlichen Umgang verbunden sein konnte. Das gleiche gilt auch für Gewerbetreibende, die in früherer Zeit durch den Verruf unter Umständen empfindliche wirtschaftliche Einbußen hatten hinnehmen müssen. Mit dem schwindenden Einfluss des SC auf die Gesamtstudentenschaft dürften aber auch bei ihnen die Konsequenzen weniger gravierend gewesen sein. Es fällt im übrigen auf, dass nach 1907 keine Nichtstudierenden mehr betroffen waren.

Insgesamt enthält das Verrufsbuch von Februar 1882 bis Juli 1934 123 Einträge. Angeführt sind Datum, Name und Stand des Betroffenen, Grund und Dauer des Verrufs sowie Bemerkungen, etwa über Aufhebungsbeschlüsse. Dabei überwiegt eindeutig die Zahl der Studenten. Häufigste Gründe waren Satisfaktionsverweigerung, Ehrenwortbruch, ehrenrührige Handlungen, Realinjurien, Beleidigung des SC, Nichtanerkennung des SC-Ehrengerichts, Nichtreagieren auf schwere Beleidigungen, Petzen, aber auch die „unbegründete Zurückweisung einer Pistolenforderung“ (stud. Fischer, 1887). Ein stud. med. dent. Hepke wurde 1902 wegen „Falschspielens, Nichtreagierens auf schwere Verbalinjurien, Ehrenwortbruchs und unhonorigen Benehmens“ mit dauerhaftem SC-Verruf belegt. Dass dieser Verruf noch 1925, also sechzehn Jahre später, auf Antrag des Betroffenen, durch einen formellen Beschluss aufgehoben wurde, deutet darauf hin, dass er sich auch über die Studienzeit hinaus nachhaltig als Makel erwiesen hat. Auch ganze Verbindungen konnten mit SC-Verruf bestraft werden. So finden sich in der Liste Einträge zur kathol. Studentenverbindung Hasso-Rhenania (wegen Satisfaktionsverweigerung, 1883, perpetuell), zur freischlagenden Verbindung Marcomannia (wegen Satisfaktionsverweigerung und Nichtanerkennung des SC-Ehrengerichts, 1889-1894), Studentenverbindung Adelphia (1894-1919),  Landsmannschaft Darmstadtia (wegen Nichtanerkennung des SC-Ehrengerichts bzw. grober Beleidigung, 1893-1897 und 1900-1913) u. a. m.

Neben verschiedenen Gastwirten (etwa Otto Luft, wegen "unverschämten Benehmens dem Corps Teutonia gegenüber", 1894, auf 5 Jahre) waren auch Handwerker (Sattler Senner, 1882, wegen „ungehörigen Benehmens einem SC-Mitglied gegenüber“ auf unbestimmte Zeit; Fotograf Zimmer desgleichen oder die Brauerei Friedel und Asprion „solange die Brauerei im Besitz von Asprion ist“) vorübergehend oder dauerhaft im SC-Verruf.

Der letzte Eintrag datiert vom 18. Juli 1934. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Jurisdiktion über Nichtcorpsstudenten endgültig obsolet. Der SC-Verruf wurde nur noch selten verhängt, die Liste in der bisherigen Form nicht mehr weitergeführt.